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05.07.2022

Podiumsdiskussion: Solidarisch sein, aber mit wem?

An der öffentlichen Podiumsdiskussion vom Freitag, 20. Mai 2022 diskutierte SolidarMed mit Expert:innen über das Konzept des effektiven Altruismus. Der Ansatz versucht eine sachliche Antwort auf die schwierige Frage zu geben, mit wem man solidarisch sein sollte.

Diskutiert haben Kristina Lanz, Fachverantwortliche Entwicklungspolitik bei AllianceSud, Peter Schaber, Professor für Angewandte Ethik an der Universität Zürich, sowie Christian Heuss, Leiter Kommunikation und Mittelbeschaffung bei SolidarMed.

Das Wort «Solidarität» hat die öffentliche Diskussion in den letzten Monaten stark geprägt. Angefangen mit der Corona-Pandemie hat der Krieg in der Ukraine die Diskussion über Hilfeleistungen und deren Wichtigkeit für das gesellschaftliche Zusammenleben zusätzlich befeuert.

Was Solidarität bedeutet und wem genau Hilfe zugutekommen soll, wird kritisch diskutiert. Ist es beispielsweise sinnvoll, mit einer Geldspende die Gesundheitsversorgung in einem abgelegenen Dorf im südlichen Afrika zu unterstützen, oder sollte man sich besser für hilfsbedürftige Menschen im eigenen Umfeld engagieren?

Antworten auf diese Frage versucht der effektive Altruismus zu geben. «Vertreter:innen dieser Bewegung stehen dafür ein, dort zu helfen, wo die Wirkung am grössten ist», erklärte der Ethiker Peter Schaber in seinem Inputreferat. Effektive Altruist:innen tun das in der Regel mit einer Geldspende, die bis zu zehn Prozent ihres Einkommens umfasst. Die Entscheidung, wem gespendet wird, wird nicht im Bauch gefällt, sondern durch den nüchternen Vergleich verschiedener Massnahmen und die systematische Messung deren positiven Effekte. Damit könne die maximale Wirkung bestimmt werden.

Peter Schaber, Professor für Angewandte Ethik an der Universität Zürich, eröffnete die Diskussion mit einem Inputreferat und präsentierte die Grundsätze des effektiven Altruismus.

Das Gespräch wurde moderiert von Barbara Bleisch, Philosophin und Moderatorin der SRF Sternstunde Philosophie.

Christian Heuss, Leiter Kommunikation und Mittelbeschaffung bei SolidarMed, hob die Wichtigkeit der transparenten Kommunikation hervor.

Entwicklungsexpertin Kristina Lanz von Alliance Sud verwies auf die Wichtigkeit von politischen Akteuren bei der Armutsbekämpfung.

Die Podiumsdiskussion unter Leitung der SRF-Moderatorin und Philosophin Barbara Bleich stellte diesen Ansatz durchaus in Frage. Die Position des effektiven Altruismus kann befremden, weil eine Herzensangelegenheit – das Helfen – versachlicht wird.  Zudem lassen sich viele Aspekte der Entwicklungszusammenarbeit nicht in Wirkungskategorien festlegen. «Spenden leisten einen wichtigen Beitrag zur Linderung von Armut und Not, aber der grösste Wandel wird nicht mit Spenden, sondern politisch erreicht», betonte schliesslich die Entwicklungsexpertin Kristina Lanz von Alliance Sud. Sich politisch zu engagieren sei daher eine sehr effektive Form von Solidarität.

Der effektive  Altruismus liefert aber durchaus Argumente dafür, warum eine Geldspende für ein Entwicklungsprojekt in Afrika notwendig und sinnvoll ist: Einerseits leben dort viele Menschen in extremer Armut und sind besonders hilfsbedürftig. Andererseits kann pro in Afrika investiertem Franken im Verhältnis viel mehr erreicht werden als in Europa.

Eine Herausforderung bleibt allerdings die Vergleichbarkeit verschiedener Massnahmen. Denn nicht alle Auswirkungen von Projekten sind gleichermassen quantifizierbar. «Spender:innen müssen sich auf die Berichterstattungen der Organisationen verlassen, um die Wirksamkeit ihrer Spende abwägen zu können», sagt Christian Heuss, Leiter Kommunikation und Mittelbeschaffung bei SolidarMed. Der Anspruch von Spender:innen auf eine transparente Kommunikation und nachvollziehbare Wirkungsmessung ist gestiegen. Dies gilt für Organisationen wie SolidarMed, aber auch für politische oder staatliche Akteure. Hier braucht es viel Fingerspitzengefühl und eine gute Balance, um Herz und Kopf anzusprechen. Es gilt, gleichzeitig die Hilfsbedürftigkeit zum Ausdruck zu bringen, die Würde der betroffenen Menschen zu wahren und zu zeigen, was wirklich wirkt.


Die Sichtweisen von drei Landesvertreter:innen auf Solidarität und effektives Helfen

Irene Ayakaka, technische Direktorin von SolidarMed Lesotho

«Solidarität geht für mich über den Aspekt der moralischen Verpflichtung ‘Der Stärkere hilft dem Schwächeren’ hinaus: Solidarität ist etwas, das uns definiert als menschliche Spezies. Zu helfen hat mit Menschlichkeit zu tun. Denn wir sind soziale Wesen und sind stärker, wenn wir zusammenstehen. Um anderen langfristig zu helfen, braucht es lokal verankerte Ansätze. Dementsprechend sind finanzielle Ressourcen zwar wichtig, sie dürfen jedoch nicht alleine stehen. Der soziale Kontext und die Menschen, die Hilfe benötigen, müssen in den Prozess der Lösungsfindung miteinbezogen werden. Beispielsweise können Moskitonetze zwar sehr effektiv gegen Malaria schützen. Wenn man diese jedoch ohne Instruktionen verteilt und sie schlussendlich als Fischernetze zweckentfremdet werden, wurde das Ziel verfehlt.»

Irene Ayakaka, technische Direktorin von SolidarMed Lesotho

Kuda Madzeke, Landeskoordinator von SolidarMed Simbabwe

«Beim Thema Solidarität stellt sich oft die Frage der Zeitdauer; wie lange soll/muss/kann Hilfe andauern? Diese Frage müssen wir uns bereits zu Beginn eines Projektes stellen. Unser Ziel ist es, die lokalen Gesundheitssysteme zu stärken und keine langfristigen Abhängigkeiten zu schaffen. Meine Rolle als Landeskoordinator würde ich als Brückenbauer beschreiben. Ich verbinde jene, die helfen möchten und jene, die Hilfe erhalten. So wird es möglich, dass ein Mensch aus einer weit entfernten Region einem anderen Menschen helfen kann.»

Kuda Madzeke, Landeskoordinator von SolidarMed Simbabwe

Barbara Kruspan, Landeskoordinatorin von SolidarMed Mosambik

«Der Anspruch an Wirkungsmessung bringt Herausforderungen mit sich: Die Wirkung eines Programms in zwei, drei Sätzen herunterzubrechen, kann dazu führen, dass Zusammenhänge zu sehr vereinfacht werden oder ein Sachverhalt klischeehaft dargestellt wird. Nichtsdestotrotz ist die Messung und Sichtbarmachung von Wirkung ein essenzieller Bestandteil von SolidarMed. Indikatoren und Messwerte sind wichtig, um festzustellen, ob definierte Ziele erreicht und die zur Verfügung gestellten Ressourcen effizient eingesetzt wurden. Wir haben eine moralische Verpflichtung, dass die Hilfe in Form von Spenden von A nach B gelangt. Aus diesem Grund ist es mir ein besonderes Anliegen, dass wir mit authentischen Bildern arbeiten, wenn wir von unserer Arbeit berichten. Schliesslich sind es reelle Personen auf den Bildern, denen die Spender:innen ihre Hilfe zusprechen.»

Barbara Kruspan, Landeskoordinatorin von SolidarMed Mosambik